Zwei Fragen an Christoph Barth
TGR: Christoph, du bist Musiker, Yogalehrer und TaKeTiNa®-Rhythmuspädagoge. Wie bist Du zu dieser Kombination gekommen und wie beeinflusst sich deine Arbeit in diesen drei Bereichen gegenseitig?
CB: Ich habe Yoga zu Studienzeiten in meinem Trompetenunterricht bei Markus Stockhausen kennen gelernt und anschließend in meiner eigenen langjährigen Yogapraxis erfahren, wie bereichernd sich Yoga auf mein Leben und künstlerisches Schaffen auswirkt. In Indien ist künstlerische Arbeit Yoga – das Aufgehen in der Zeitlosigkeit und die Verbindung mit dem Göttlichen – welche Form man sich auch immer unter dem Begriff vorstellt. Durch die Körperübungen (asanas) steigert sich das Körperbewusstsein, so dass man überflüssige Spannung beim Üben wie auf der Bühne wahrnehmen und loslassen kann. Auf der anderen Seite nimmt man auch wahr, wo im Körper etwas mehr Tonus notwendig ist. Die Körpererfahrungen während der Praxis auf der Yogamatte übertragen sich dabei ganz natürlich auf das Leben wie auf das künstlerische Wirken, so dass man darüber nicht mehr nachdenken muss: Die Wahrnehmung einer Spannung alleine führt durch regelmäßige Praxis bereits zu einer Lösung der Spannung. Die Atemübungen (pranayamas) fließen ebenso in den Alltag ein und geben uns ein Werkzeug an die Hand, mit dem wir uns jederzeit in einen präsenten Zustand zurückbringen können. Durch Meditation (dhyana) lernen wir die Gedankenströme wahrzunehmen, welche uns die meiste Zeit des Tages über unbewusst beeinflussen und mit denen wir uns oft identifizieren. Sie drehen sich meist um Vergangenheit und Zukunft, verhindern das Eintauchen in der Gegenwart und können Ängste entstehen lassen. Auch hier können wir durch regelmäßige Praxis lernen, diese Gedanken bewusst wahrzunehmen, so dass sie keinen negativen Einfluss mehr auf uns haben, immer schwächer werden und schließlich ganz verschwinden.
TaKeTiNa® wiederum habe ich auf zwei Orchesterakademien der Bayrischen Philharmonie kennen gelernt und war direkt fasziniert von diesem ganzheitlichen Ansatz. Es war damals deutlich wahrnehmbar, wie das Orchester in den jeweils zweiwöchigen Probenphasen - vor allem durch die Unterstützung der täglichen TaKeTiNa®-Reisen - zu einer Einheit zusammengewachsen ist. Und nicht zuletzt entsteht durch das gemeinsame Grooven und Singen im Raum der gleichzeitigen Wahrnehmung eine unglaubliche Lebensfreude! In TaKeTiNa® gehen wir mit der Stimme, den Schritten und dem Klatschen in drei verschiedene Rhythmusebenen, was für das kontrollierende Denken zu komplex ist, so dass es ausgehebelt wird und man ins Jetzt fällt. Dieser Prozess wird nur durch Flexibilität, Selbstorganisation und Synchronisation mit der Gruppe möglich – Eigenschaften, ohne die das gemeinsame künstlerische Wirken mit anderen Menschen unvorstellbar ist. Die auftauchenden rhythmischen Probleme stehen dabei oft mit Eigenschaften in Zusammenhang, die uns auch im Leben vom Eintauchen in den Groove abhalten. In TaKeTiNa® wird die rhythmische Arbeit wie eine Metapher benutzt, in welcher diese Probleme ins Bewusstsein rücken, spielerisch transformiert und schließlich auf neue Weise in den Alltag integriert werden können. Dabei lernen alle Teilnehmenden im eigenen Zeitmaß und entscheiden selbst, wann sie Ebenen auch einmal weglassen oder sich sogar zeitweise ganz aus dem Rhythmus lösen möchten.
Faszinierend ist für mich, dass drei so unterschiedliche Wege – das Aufgehen im künstlerischen Wirken, in der Bewegungslosigkeit im Yoga und in der Bewegung im TaKeTiNa® - zum gleichen präsenten Geisteszustand führen. Und dieser bildet für darstellende Künstler*innen die Grundlage für kreative Prozesse, die aus dem großen inneren Raum aufsteigen können.
TGR: Wie unterscheidet sich im Yoga und im TaKeTiNa® qualitativ die Arbeit mit darstellenden Künstlern*innen von der Arbeit mit gemischten Gruppen?
CB: Yoga ist eines der ältesten Übungssysteme der Welt, wurde über tausende von Jahren von Generation zu Generation weitergegeben und immer weiter verfeinert. Es ist ein ganzheitliches System, dem aus meiner Wahrnehmung heraus nichts fehlt und das ich deshalb in meiner Praxis mit darstellenden Künstlern*innen auch in keiner Weise verändere. Wir betrachten und reflektieren Yoga in meinem Unterricht aber immer wieder - meist zu Beginn und am Ende der Yogastunde - aus der Künstlerperspektive heraus und ziehen Querverbindungen zu unserem Tätigkeitsfeld. Ebenso ziehe ich in meinen TaKeTiNa®-Workshops immer wieder die Parallelen zur Kunstausübung und Bühnensituation. Und meist ist Künstlern der Raum der gleichzeitigen Wahrnehmung, in den wir bei TaKeTiNa®-Reisen eintauchen, bereits vertraut, so dass sie sich einfacher darauf einlassen können. Für darstellende Künstler*innen ist es in ihrer Berufsausübung notwendig, aus dem kontrollierenden Denken heraus in einen Zustand der gleichzeitigen Wahrnehmung zu kommen, aus welchem erst kreative Prozesse entstehen können. Das Kunstschaffen gleicht dann einem Chaotischen Pendel, dessen Bewegungen nicht vorhersehbar sind, sondern sich aus dem Jetzt heraus lebendig und unvorhersehbar entwickeln. Gerade die Bühnensituation kann auf Dauer – wenn die Kunst nicht aus einer inneren Quelle heraussprudelt – mit Ängsten einhergehen, die aus dem kontrollierenden Denken heraus entstehen und uns auf Dauer körperlich wie seelisch verformen können. So können z.B. bei Musikern instrumentenspezifische Fehlbelastungen entstehen, die sich - zunächst unbemerkt – verfestigen und schließlich zu gesundheitlichen Problemen führen können. Auch im Übeprozess können Künstler dazu neigen, mit übertriebenem Ehrgeiz immer wieder über ihre eigenen Körpergrenzen hinauszugehen, um ihr Ziel zu erreichen. Diesem Prozess können wir durch asanas, pranayama und dhyana entgegenwirken. Der Atem ist vor Auftritten, aber auch auf der Bühne ein hervorragendes Werkzeug, um aus störenden Gedanken herauszukommen. Meist atmen wir in Stresssituationen nicht mehr richtig aus und die Atmung verflacht sich. Dem können wir durch Atemtechniken entgegenwirken, so dass der Atem wieder tief und entspannt fließt und auch die negativen Gedanken wieder zur Ruhe kommen. Und da Angst durch diese negativen Gedankenketten entsteht, verschwindet sie und wir kommen wieder im natürlichen Zustand des Ur-Vertrauens an, in dem wir grundlos glücklich sind und die Kunst wieder frei aus unserer inneren Quelle heraussprudeln kann. Und dies ist doch schließlich der Grund, warum wir alle unsere künstlerische Arbeit so sehr lieben!